Projekt FALKE II (2019-2022)

Kulturerbe in Gefahr – Auswirkungen des Klimawandels, Chancen der Digitalisierung

Im Projekt »Kulturerbe in Gefahr – Auswirkungen des Klimawandels, Chancen der Digitalisierung« arbeiteten 20 Fraunhofer-Einrichtungen zusammen mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) und weiteren externen Partnern über drei Jahre an innovativen Lösungen, um den Erhalt von Kulturgut u. a. im Kontext des Klimawandels voranzutreiben und neue Konservierungs- und Digitalisierungskonzepte zu entwickeln.

Die Ergebnisse des Projekts wurden 2023 veröffentlicht: Fraunhofer Technologies for Heritage Protection

In Fortsetzung des Vorgängerprojekts »Mit Fraunhofer-Innovationen unser Kulturerbe schützen« (2015-2018) wurden folgende Kernthemen adressiert:

Teilprojekt 1: Wissensplattform
Fraunhofer IOSB

Entwicklung einer ontologischen, übergeordneten Wissens- und Datenplattform für alle Teilprojekte: Es wurde eine modulare, webbasierte Plattform-Toolbox entwickelt, auf deren Basis schnell Kundenprojekte in der Domäne des Kulturgüterschutzes realisiert werden können. Aufgabe der Plattform ist es, Sensordaten aus allen relevanten Quellen zu erfassen und zu verwalten, diese mit Algorithmen auszuwerten, die Analyseergebnisse mit weiteren Informationen zu verknüpfen und den jeweiligen Experten und Entscheidern aufbereitet und z.T. visualisiert zur Verfügung zu stellen. Basis dafür war die Entwicklung einer anwenderorientierten, semantischen Ontologie, in der die Themen Kulturerbe und Klimawandel sinnvoll miteinander verknüpft wurden.

weiterführende Details:
Fraunhofer Technologies for Heritage Protection, Chapter 1 – The FALKE Knowledge Base

Teilprojekt 2: Digitale Zwillinge und urbaner Raum

TP 2.1: Kulturgüterschutz im urbanen Außenraum
Fraunhofer IBMT, ITWM, IPM, IGD, HHI, UMSICHT, IBP

In Teilprojekt 2.1 wurden die in Falke I entwickelten und benutzten Scann- und Messsysteme für den mobilen Einsatz umgerüstet, so dass sie sowohl vor Ort, z.B. in Museen, als auch im urbanen Außenraum, z.B. an Gebäuden bzw. an Gebäudeteilen, eingesetzt werden konnten. Die Methoden umfassten neben der Terahertztechnologie (THz, ITWM) auch Ultraschalltransmissionstomografie (US, IBMT), Röntgen Computer Tomografie (CT, EZRT), Mikroskopie (UMSICHT), Fotogrammetrie (IPM, IGD) und Light Detection and Ranging (LiDAR) (IPM).
Im Rahmen verschiedener Kampagnen wurden Objekte erfasst und visualisiert. Dabei wurden nicht nur Oberflächenscans durchgeführt, sondern mit THz, CT und US auch der innere Zustand (Struktur, Materialanalyse) analysiert und mit den 3D-Modellen zu einem digitalen Zwilling fusioniert. Die für die Fusionierung notwendigen Methoden wurden aus FALKE I übernommen.

Meßkampagnen:

  • Messung von Sandsteinphantomen (Asterixe) am IBP in Holzkirchen (IBMT, ITWM, EZRT, UMSICHT)
  • Messung des Wasserschlösschens und der Schneeburg in Freiburg (IPM)
  • 3D-Digitalisierung von Kunstgewerbeobjekten in Dresden (EZRT, IBMT)
  • Marketeriemessungen in Dresden (IBMT)
  • US-Messung an antiken Gebäudeteilen (Kalk) in Landsweiler Reden (IBMT)
  • 3D-Digitalisierung goldener Artefakte im Reiss-Engelhorn-Museum in Mannheim (siehe Teilprojekt 2.2) (IGD)
  • Verschiedene kleinere Messreihen an verschiedenen Orten (alle Partner)

weiterführende Details:
Fraunhofer Technologies for Heritage Protection, Chapter 2 – Digital Twins, Damage Detection and Material Analysis, 1. Digitization of Cultural Assets and Objects, 2. Digital Twins, 3. Scan Methods, 4. Damage Detection and Material Analysis

Teilprojekt 2: Digitale Zwillinge und urbaner Raum

TP 2.2: 3D-Digitalisierung transluzenter und stark reflektierender Objekte
Fraunhofer IGD, IBMT, EZRT

Die Digitalisierung von reflektierenden und transparenten Objekten mit den bekannten Methoden stellt vor allem bei ungünstiger Beleuchtung eine Schwierigkeit dar. Im Rahmen des Teilprojekts 2.2 wurde ein Konzept für einen Ultraschallscanner erstellt, der anhand von Oberflächenreflektionen eine Erfassung solcher Objekte ermöglicht.

Außerdem wurde gezeigt, wie mit Hilfe des CultArm3D [Fotogrammetrie] (IGD) eine Erfassung stark reflektierender Objekte möglich ist. Im Rahmen einer Messkampagne im Reiss-Engelhorn-Museum in Mannheim wurden kleine goldene Artefakte von der Insel Java gescannt und digitale Zwillinge der Artefakte mit hoher Detailtreue erstellt.

Als dritte Methode wurde die mobile CT bei der Messkampagne in Dresden eingesetzt und zeigte gute Ergebnisse. Sie kann als komplementär zum nichtionisierenden Ultraschall gesehen werden und hat den Vorteil, dass sie bereits realisiert ist.

weiterführende Details:
Fraunhofer Technologies for Heritage Protection, Chapter 2 – Digital Twins, Damage Detection and Material Analysis, 3.1 Photogrammetry

Teilprojekt 3: Erhalt historischer Materialien unter dem Einfluss des Klimawandels

TP 3.1: Kunststoffe – Ermittlung einer Messstrategie für Ausgasungen und Abbauphänomene und Entwicklung geeigneter Sorptionsmaterialien
Fraunhofer UMSICHT, IAP, WKI, ISC, IGB, ICT

Wenn Museumsobjekte aus Kunststoffen degradieren, können Ausgasungen entstehen. Eine Möglichkeit, Objekte und Umgebung vor Ausgasungen zu schützen, sind Adsorbentien, deren Verwendung aber auch zu Schäden führen kann, wenn damit der Verlust von Weichmachern einhergeht. In TP3.1 wurden alternative Adsorptionsmaterialien formuliert und getestet, die schädliche Abbauprodukte wie z. B. Essigsäure und nitrose Gase abfangen, den Verlust von Weichmachern jedoch nicht fördern. Außerdem wurde untersucht, wie Ausgasungen durch eine Schutzschicht vermieden werden können.

Darüber hinaus wurde die Langzeitwirkung der vom ISC in den 1990ern entwickelten und aufgetragenen ORMOCER®e im Außenbereich untersucht, die vor allem bei Glas, glasierten Ziegeln, Metallen und Emaille zum Einsatz kommen. Dabei konnte mit Hilfe einer Mikro-FTIR-Spektroskopie nachgewiesen werden, dass das Material nach 30 Jahren Einsatz stabil ist und seine Schutzfunktion erfüllt.

weiterführende Details:
Fraunhofer Technologies for Heritage Protection, Chapter 3 – Preservation of Historical Materials in Times of Climate Change, 1. Plastics in Museums

Teilprojekt 3: Erhalt historischer Materialien unter dem Einfluss des Klimawandels

TP 3.2: Papier – Restaurierung stark verblockter, historisch wertvoller Dokumente (Entblockung, Trennung, Digitalisierung)
Fraunhofer FEP, IPK, EZRT, IWS, IBMT

Ausgangspunkt für TP3.2 waren Schäden an wertvollen Einzelstücken, aber auch Massenschäden in Archiven, die unter anderem auf Feuchtigkeit und Schimmelbefall zurückgehen. Dabei wurden zwei Schwerpunkte definiert: die Entblockung und die Rekonstruktion – virtuell und physisch.

Hinsichtlich der Entblockung durch Schimmelpilze geschädigter Dokumente wurden im Projektverlauf zwei Möglichkeiten identifiziert. Der erste Ansatz ist die mechanische Entblockung mit einem Ultraschall-Skalpell. Der zweite Ansatz ist eine Enzymbehandlung zur selektiven Auflösung der Schlauchpilz-Strukturen.

Die begleitenden Untersuchungen zu Rekonstruktionsmöglichkeiten, beginnend mit der virtuellen Rekonstruktion, erfolgte in mehreren Schritten beginnend mit der Erhebung von erweiterten Objektinformationen (z.B. Schäden, Ursachen, Datierung, Papierklassifizierung) mit Hilfe verschiedener Bildgebungsverfahren (z.B. HSI, CT) über die Digitalisierung von Fragmenten bis hin zur Entwicklung von Grundlagen für ein spezielles Assistenzsystem, das bei der manuellen Fragmentzuordnung unterstützt. Darüber hinaus ist es erstmals mit „minimalinvasivem“ Einsatz von druckbaren Stabilisierungsmitteln gelungen, eine deutliche Stabilisierung von fragilem Papier zu erreichen.

weiterführende Details:
Fraunhofer Technologies for Heritage Protection, Chapter 3 – Preservation of Historical Materials in Times of Climate Change, 2. Historical Paper Documents

Teilprojekt 3: Erhalt historischer Materialien unter dem Einfluss des Klimawandels

TP 3.3: Emaille – Entwicklung und Test von Reinigungsverfahren für brandgeschädigte Emailleoberflächen
Fraunhofer IWS, FEP, EZRT

Die Folgeschäden von Bränden sind immens und es bedarf innovativer Methoden und Technologien diese zu beseitigen. In den Archiven der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) lagern unter anderem wertvolle historische Taschenuhren, die durch das Feuer des Luftangriffs auf Dresden am 13. Februar 1945 schwer geschädigt wurden. Insbesondere die hohen Temperaturen gepaart mit Feuchtigkeit und Rußablagerungen haben die Uhren massiv geschädigt. Bisher fehlte ein passender Restaurierungsansatz für die emaillierten Zifferblätter.

Ziel des FALKE II-Projekts war die vollständige Entfernung der schwarzen Oberflächenschicht ohne signifikante Erhöhung der Oberflächenrauigkeit der Emaille durch hochpräzise ultrakurz gepulste Laserablation. Die Materialschädigung konnte primär in Form einer oberflächlichen, chemischen Reduktion der bleihaltigen Emaille identifiziert werden. Basierend auf dieser Erkenntnis wurden eine präzisierte Reinigungsspezifikation abgeleitet, Dummy-Proben hergestellt und analog brandgeschädigt sowie die Prozesse für das minimalinvasive Laserabtragen der dünnen, geschädigten Schicht entwickelt.

Im Resultat konnte ein restauratorisch zufriedenstellendes Reinigungsergebnis erreicht werden: Durch den Einsatz ultrakurzer Laserpulse von einigen Pikosekunden (10-12 s) statt kurzer Laserpulse von einigen Nanosekunden (10-9 s, welche in der Vergangenheit erfolglos erprobt wurden) konnten thermische Schäden im Mikrometerbereich vermieden werden.

weiterführende Details:
Fraunhofer Technologies for Heritage Protection, Chapter 3 – Preservation of Historical Materials in Times of Climate Change, 3. Enamel

Teilprojekt 4: Der sozioökonomische Wert von Kulturerbe im digitalen Zeitalter, Quantitative Erhebung von Besucher:innenpräferenzen
Fraunhofer IMW

Bei (Investitions-) Entscheidungen für den Schutz und Erhalt von Kulturerbe ist die Kostenseite stets leichter darstellbar als die Nutzenseite. Dies führt dazu, dass der gesellschaftliche Nutzen von Kulturerbe in der Betrachtung häufig vernachlässigt wird. Basierend auf einer umfangreichen interdisziplinären Literaturrecherche und ergänzenden Diskussionen mit Vertreterinnen und Vertretern aus Museen und Bibliotheken wurden insbesondere der Nutzen des Erhalts von Originalen und der Nutzen der Digitalisierung im Kulturerbebereich untersucht. Für beide Themen wurde jeweils eine strukturierte Matrix erstellt und als Argumentationshilfe für Investitionsentscheidungen veröffentlicht.

Außerdem wurde ein präferenzbasierter Ansatz zur Quantifizierung des Nutzens öffentlicher Güter verfolgt, um die Kosten von Investitionen in Präventions- und Restaurierungsmaßnahmen dem gesellschaftlichen Nutzen dieser gegenüberzustellen und dementsprechende Vorhaben ganzheitlich zu bewerten. Mithilfe der Reisekostenmethode wurde am Beispiel des Maya-Codex der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) gezeigt, dass Besucherinnen und Besucher einen z. T. erheblichen Aufwand in Kauf nehmen, um den Codex vor Ort zu besichtigen, obwohl er auch kostenlos im Internet präsentiert wird.

Ausgehend von den zu Anfang erwähnten Analysen zum Nutzen der Digitalisierung im Kulturerbebereich und dem Nutzen des Erhalts von Originalen trotz Digitalisierung ging es in einer weiteren Befragung um die Frage, wie Original und Digitalisat/Digitalisierung dazu beitragen können, Ausstellungen attraktiver zu gestalten, um mehr Besucherinnen und Besucher anzusprechen und Inhalte besser und nachhaltiger zu vermitteln. In FALKE II wurde daher eine repräsentative Bevölkerungsbefragung zum Thema (Nicht-) Besucherpräferenzen durchgeführt, um sowohl Besucherinnen und Besucher als auch Nicht-Besucherinnen und Nicht-Besucher zu berücksichtigen. Als Fallstudie wurde der Maya-Codex der SLUB herangezogen. Mit der Auswertung konnte gezeigt werden, dass die Conjoint-Analyse bzw. bei komplexeren Sachverhalten eine Befragung im Conjoint-Design bei der Priorisierung verschiedener Komponenten in der Ausstellungs- bzw. Ticketgestaltung unterstützen kann.

weiterführende Details:
Fraunhofer Technologies for Heritage Protection, Chapter 4 – Value of Cultural Heritage and Visitor Preferences

Kontakt:

Uta Pollmer

Wissenschaftliche Mitarbeiterin Gruppe Innovationsakzeptanz
Co-Koordinatorin Forschungsallianz Kulturerbe

Fraunhofer IMW
Martin-Luther-Ring 13
04109 Leipzig

Tel. +49 341 231039-125
uta.pollmer [at] imw.fraunhofer.de